Dr. Daniel Dettling, re:publik - Institut für Zukunftspolitik
Wie wichtig ist der Wirtschaftsfaktor Frau in der europäischen Union?
Frauen treffen in der Familie die meisten Konsumentscheidungen und werden als Arbeits- und Fachkräfte in einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger. Der Großteil der Wirtschaft macht der Mittelstand, genauer: familiengeführte Unternehmen, aus. Hier übernehmen die Töchter mehr und mehr die Führung. Dennoch ist der viel zitierte “Gender Gap” immer noch sehr groß. Österreich rangiert zum Beispiel in der Kategorie “Beteiligung und Chancen von Frauen in der Wirtschaft” weltweit nur auf Rang 70. Frauen besetzen in Österreich weniger als fünf Prozent der führenden Managementposten. Auch die Gehaltsunterschiede bei gleicher Qualifikation sind groß.
Woran liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen für den viel zitierten Gender Gap im wirtschaftlichen Bereich?
Das Thema wird zu einseitig als “Frauenthema” diskutiert und abgetan. Flexible Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind kaum ein Männerthema. Das muss sich ändern und ändert sich auch langsam. Auch hier sind es vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, die bei den Themen Arbeitszeitmodelle und Führungskultur voran gehen und die nötige Revolution vormachen und vorleben. Immer mehr Unternehmen schaffen beispielsweise die Präsenzpflicht ab. Viele Männer und Manager definieren sich oft nur darüber, wer von ihnen am längsten im Büro bleibt.
Sind Maßnahmen notwendig um Frauen im Berufsleben zu fördern und wenn ja, welche wären Ihrer Meinung nach am zielführendsten?
Die Geschlechter- und Führungslücke muss geschlossen werden. Für die viel beschworene Kulturveränderung muss die Wirtschaft weiblicher werden. Wir wissen aus vielen Studien, dass man mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen braucht, damit sich wirklich etwas ändert. Wichtig ist aber auch ein größeres Selbstbewusstsein der Frauen selbst: In Bewerbungs- und Gehaltsgesprächen treten viele oft zu defensiv auf. “Keine Angst vor Macht und Männern” und Frauennetzwerke sind genauso wichtig wie Qualifikation und Motivation.
Wie schätzen Sie den Erfolg der gesetzlichen Frauenquote in Deutschland ein?
Noch haben wir die Frauenquote auch in Deutschland nicht. Sie steht lediglich im Koalitionsvertrag von Union und SPD und soll auch nur für Aufsichtsräte in DAX-Unternehmen gelten. Aber allein die Diskussion um die Einführung hat einen leichten Bewusstseinswandel bewirkt. Ohne Quote wird sich die Wirtschaft zu langsam verändern, zu ihrem Nachteil. Erfolgreiche Unternehmen sehen die Quote auch als Chance und nicht als Bedrohung.
Welchen Stellenwert wird das Thema Gender Diversity in der österreichischen Wirtschaft und Politik in Zukunft haben?
Mehr Frauen in der Wirtschaft und in den Führungsetagen werden auch die Welt der österreichischen Wirtschaft verändern. Eine größere Vielfalt kann den Unternehmen nur gut tun. Es geht aber nicht nur um Frauen. Auch Männer profitieren von einer familienfreundlichen und flexibleren Arbeitszeitpolitik und mehr Diversity. Die Ära der homogenen Organisationen, in denen allein Männer über 50 das Sagen haben, geht zu Ende.
Was halten Sie vom 1. Karriereportal für Frauen Frau & Karriere?
Ein guter Anfang! Plattformen und Netzwerke wie Ihre sind wichtig, um den nötigen Bewusstseins- und Kulturwandel zu organisieren.
Dr. Daniel Dettling, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter bei re:publik – Institut für Zukunftspolitik. Der Jurist und Politikwissenschaftler studierte nach seinem Zivildienst in Israel Rechts-, Verwaltungs- und Politikwissenschaften sowie Politische Ökonomie an den Universitäten Freiburg, Fribourg (CH), Berlin (2. Staatsexamen) und Potsdam (Promotion). Er ist Herausgeber der edition Zukunftspolitik und Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (degepol).
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