Bewerber ohne Gesicht
In den USA, Großbritannien und Kanada ist es bei den meisten Unternehmen bereits üblich – eine völlig anonyme Bewerbung ohne Angabe von Geschlecht, Name, Familienstand und Alter. Wäre das auch in Österreich die perfekte Methode um die besten Mitarbeiter zu rekrutieren?
Haben wir in der Vergangenheit vielleicht zu viel Privates von uns frei gegeben und sind deshalb nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden? Haben wir zu langweilige oder zu gefährliche Hobbys, war das Bewerbungsfoto nicht vorteilhaft, klingt der Name fremdländisch und hat es deshalb nicht gepasst oder waren doch die drei angeführten Kleinkinder schuld an der Absage? Diese Fragen stellen sich bei einem anonymisierten und auf die beruflichen Faktoren konzentrierten Lebenslauf nicht mehr.
Bei der anonymisierten Bewerbung erfahren die Recruiter persönliche Angaben über die Person erst dann, wenn jemand zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird.
Laut Studie hatten jüngere Frauen Vorteile, denn sie mussten oft wegen eines eventuellen Kinderwunsches befürchten, abgewiesen zu werden. Ebenfalls Vorteile soll es für ältere Arbeitnehmer sowie für Personen mit Migrationshintergrund bringen, denn mit der anonymisierten Bewerbung sollen Vorurteile und Klischees abgebaut werden.
Wenn die Recruiter ihre Bewerber in erster Linie nach bester Qualifikation und den besten Zeugnissen auswählen, könnten dann nicht auch einige gute Bewerber/Innen mit einer etwas schlechteren Qualifikation, dafür aber mit entsprechender Persönlichkeit und Individualität übersehen werden?
Ein Pilotprojekt in Deutschland, initiiert von Christine Lüders (Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes) zeigt geteilte Meinungen dazu. Namhafte Firmen wie z.B. die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, L’Oréal, oder der Geschenke-Vermittler MyDays testeten das anonyme Auswahlverfahren. Vier Betriebe, die am Pilotprojekt teilnahmen, wollen ihre BewerberInnen zukünftig ohne persönliche Daten einladen. Die Mehrzahl der Unternehmen, wie auch die meisten großen Unternehmen (Deutsche Post, Telekom oder L’Oréal) waren vom Pilotprojekt nicht ganz so überzeugt und werden weiterhin auf die Bewerbung mit persönlichen Angaben setzen.
Chancengleichheit im Recruiting-Prozess und die nachvollziehbare Anforderung der Recruiter, möglichst viel Information von BewerberInnen möglichst schon im ersten schriftlichen Schritt zu erhalten, passen nicht immer zusammen, denn auch RecruiterInnen sind nicht frei von Vorurteilen. Aber eines spricht doch gegen die komplette Anonymisierung: Im Recruiting geht es bekanntlich nicht immer nur um das beste „Paper-Ware“, also beste Qualifikation und beste Zeugnisse – mindestens genauso wichtig sind (hoffentlich!) auch die Person an sich, ihre Individualität und persönlichen Eigenschaften – und das könnte dann vielleicht etwas zu kurz kommen!