Zwischen Strukturwandel und Stillstand
Die Bilanz des Jahres 2025 zeigt: Rechtliche Fortschritte treffen auf strukturelle Beharrungskräfte. Während neue Wirtschaftszweige Chancen eröffnen, bleiben alte Blockaden bestehen.

Das vergangene Wirtschaftsjahr brachte eine Zäsur in der österreichischen Gleichstellungsdebatte. Mit der Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie müssen Unternehmen ab einer bestimmten Größe ihre Gehaltsstrukturen offenlegen – ein Schritt, der die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen vom Tabu zur messbaren Kennzahl macht. Die Zahlen sind ernüchternd: Der bereinigte Gender Pay Gap liegt bei rund 18 Prozent, in manchen Branchen deutlich darüber.
Doch Transparenz allein schließt keine Lücken. Sie macht sichtbar, was seit Jahrzehnten bekannt ist: dass Frauen für gleichwertige Arbeit weniger verdienen, dass sie in höheren Gehaltsstufen unterrepräsentiert sind, dass Karriereverläufe asymmetrisch verlaufen. Die eigentliche Frage lautet nun: Welche Konsequenzen folgen aus dieser Sichtbarkeit?
Die Teilzeitfalle und ihre volkswirtschaftlichen Kosten
Ein Drittel der erwerbstätigen Frauen in Österreich arbeitet in Teilzeit – eine der höchsten Quoten in der EU. Was in der öffentlichen Debatte oft als individuelle Entscheidung dargestellt wird, ist in Wahrheit eine strukturelle Zwangslage. Kinderbetreuungseinrichtungen mit eingeschränkten Öffnungszeiten, die ungleiche Verteilung von Pflegeaufgaben und steuerliche Anreize, die Zuverdienermodelle begünstigen, machen Vollzeiterwerbstätigkeit für viele Frauen zur Unmöglichkeit.
Die volkswirtschaftlichen Folgen sind beträchtlich. Studien der WIFO beziffern das ungenutzte Erwerbspotenzial von Frauen mit mehreren Milliarden Euro jährlich. Hinzu kommen langfristige Effekte: niedrigere Pensionsansprüche, höhere Altersarmut bei Frauen, Abhängigkeiten in Partnerschaften. Die Teilzeitfalle ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der wirtschaftlichen Vernunft.
Führungsetagen: Quoten wirken, aber nicht überall
Die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen zeigen, dass regulatorische Eingriffe Wirkung entfalten können. Seit Einführung von Quotenregelungen ist der Frauenanteil in diesen Gremien deutlich gestiegen. Doch in den operativen Führungsebenen – den Vorständen und Geschäftsführungen – bleibt die Veränderung minimal. Nur etwa zehn Prozent der Vorstandspositionen in ATX-Unternehmen sind mit Frauen besetzt.
Die Ursachen sind vielschichtig: Netzwerkeffekte, die männlich dominiert bleiben, Rekrutierungsprozesse, die Ähnlichkeit belohnen, und nicht zuletzt die Unvereinbarkeit von traditionellen Karrieremodellen mit Betreuungspflichten. Mentoring-Programme und Diversity-Initiativen sind wichtige Instrumente, ersetzen aber nicht systemische Reformen in Arbeitskultur und Organisationsstrukturen.
Zukunftsbranchen als Chance
Die größten Chancen für Frauen liegen paradoxerweise dort, wo Österreichs Wirtschaft noch am Anfang steht. In der Energiewende, der Digitalisierung und der Kreislaufwirtschaft sind die Strukturen noch nicht verfestigt, die Karrierewege noch nicht vorgezeichnet. Hier können Frauen nicht nur mitgestalten, sondern prägen.
Unternehmen im Green-Tech-Bereich berichten von höheren Frauenanteilen in Führungspositionen als traditionelle Industriebetriebe. Start-ups in der Softwareentwicklung setzen zunehmend auf diverse Teams – nicht aus Idealismus, sondern weil Studien zeigen, dass heterogene Perspektiven zu besseren Produkten führen.
Doch auch hier gilt: Ohne gezielte Förderung in MINT-Fächern, ohne Vorbilder und ohne flexible Arbeitsmodelle bleibt das Potential ungenutzt. Die Ausbildungsschere öffnet sich bereits in der Schule, und sie schließt sich nicht von selbst.
Die Wirtschaftspolitik steht vor konkreten Aufgaben. Der Ausbau der Kinderbetreuung – ganztägig, ganzjährig, leistbar – ist keine Sozial-, sondern eine Wirtschaftspolitik. Die Reform des Steuer- und Sozialversicherungssystems muss Anreize für Vollzeiterwerbstätigkeit setzen, statt Teilzeit zu subventionieren. Väterkarenz muss vom Papiertiger zum gelebten Standard werden.
Unternehmen wiederum sind gefordert, Führung neu zu denken. Präsenzkultur und 60-Stunden-Wochen als Karrierevoraussetzung sind Relikte einer Zeit, in der Erwerbsarbeit männlich und Care-Arbeit weiblich kodiert war. Ergebnisorientierung, flexible Arbeitsmodelle und eine Kultur, die Betreuungspflichten als Normalität behandelt, sind keine Zugeständnisse, sondern Wettbewerbsvorteile im Kampf um Talente.
Das Jahr 2025 markiert einen Wendepunkt – aber noch keine Wende. Die Instrumente für mehr Gleichstellung sind vorhanden: Transparenzpflichten, Quotenregelungen, neue Wirtschaftszweige. Doch Instrumente allein verändern keine Realitäten. Es braucht politischen Willen, unternehmerischen Mut und gesellschaftlichen Konsens, dass Gleichstellung keine Verhandlungsmasse, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist.
Wien, Redaktion, Foto: KI generiert








