50% der befragten Studentinnen zwischen 20 und 29 Jahren sind der Meinung, dass sie sich zwischen Beruf oder Familie entscheiden müssen obwohl 86% gerne beides miteinander vereinen würden.
Immer mehr junge Menschen steigen mit hohen formalen Bildungsabschlüssen und entsprechend motiviert in den Beruf ein. Dabei ist jedoch zu beobachten, dass Frauen ihre hohen Qualifikationen in der Arbeitswelt weniger erfolgreich umsetzen als Männer mit vergleichbarer Qualifikation. So sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert und erhalten meist nicht das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen, Stichwort „Gender Pay Gap“. Als Hypothesen dafür gelten landläufig, die falsche Studienwahl der Frauen, das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und schließlich, dass Frauen möglicherweise weniger Interesse an Führungsverantwortung hätten.
Anke van Beekhuis, die Expertin für Gender Balance und High Performance Culture, setzt mit ihrer Studie „Die weiblichen Führungskräfte von morgen. Erwartungen 20- bis 29-jähriger Studentinnen an Unternehmen als zukünftiger Arbeitgeber“ diesen Mythen endlich Fakten entgegen und liefert wichtige Erkenntnisse für das Employer Branding, Recruiting und Personalmanagement zum Thema Gender Balance. Durchgeführt wurde die Studie vom Institut für Jugendkulturforschung, mit Unterstützung von TheRedHouse – Institut für nachhaltige Unternehmensentwicklung, Raiffeisen Bank International AG und EVN AG.
„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Anteil von Frauen in Führungspositionen in der RBI deutlich zu erhöhen. Dazu benötigen wir ein besseres Verständnis darüber, welche Erwartungen weibliche High Potentials an ihren zukünftigen Arbeitgeber richten. Deshalb haben wir die Studie sehr gerne unterstützt“, sagt Johann Strobl, Vorstandsvorsitzender der RBI. Mag. Wolfgang Maier, Leiter EVN Personalwesen, ergänzt: „Mehr Frauen in technischen Berufen birgt für die EVN ein großes Potential. Zahlreiche Maßnahmen wurden in den letzten Jahren umgesetzt. Die Studie hilft uns die Bedürfnisse und Erwartungen junger Frauen besser zu verstehen. So können wir an unseren Angeboten weiter arbeiten.“
Gut gerüstet, motiviert und weiblich
Wie die Repräsentativstudie unter 500 jungen Studentinnen zwischen 20 und 29 Jahren zeigt, sind junge weibliche „High Potentials“ für die neue Arbeitswelt bestens gerüstet. Jeweils rund 7 von 10 Befragten geben an, leistungsorientiert zu sein, sich leicht auf Veränderungen einstellen zu können und wären außerdem bereit, für einen gut bezahlten Job oder für eine interessante berufliche Tätigkeit ins Ausland zu gehen. 28 % der Studentinnen meinen sogar, die Behauptung „Meine berufliche Karriere ist mir wichtiger als alles andere“ trifft auf sie „sehr“ oder „zumindest eher“ zu“.„Angesichts dieser Zahlen ist der Mythos widerlegt, dass Frauen nicht vorankommen wollen und weniger Interesse an Erfolg und Entwicklung haben“, erklärt Anke van Beekhuis.
Weibliche „High Potentials“ fürchten Karriereknick durch Familiengründung
Die weitaus überwiegende Mehrheit der jungen Frauen (86%) würde Karriere und Familie, sofern die Rahmenbedingungen passen, gerne verbinden. Die gleiche Anzahl der Befragten meint auch, Karriere mit Kind sei für Frauen nur dann möglich, wenn der Partner mitzieht und sich stark in die Kinderbetreuung einbringt. Denn selbst wenn Familiengründung als persönliche Option für die meisten noch in der Ferne liegt, sehen sie hier deutliche Defizite. Am häufigsten genannt werden dabei zu wenig Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung, Urlaubsplanung etc. seitens der Arbeitgeber (79 %) und Defizite im Bereich öffentlicher Kinderbetreuungs-einrichtungen (78 %).
Aber auch die soziale Erwartung, dass eine gute Mutter ihre beruflichen Ambitionen zurückstellt, nennen immer noch 68% als Hindernis. Da ist es wenig verwunderlich, dass jede Zweite in der Befragung meint, Frauen müssen sich zwischen Karriere und Kind entscheiden. Das rührt auch daher, weil es in ihrem persönlichen Umfeld dafür kaum Vorbilder gibt und auch von Seiten der Wirtschaft wenige Role-Models gezeigt werden. Hier gilt es aus Sicht der jungen weiblichen „High Potentials“ anzusetzen. 94 % der Befragten sind nämlich der Meinung, dass beruflich erfolgreiche Frauen wichtige Vorbilder für junge Frauen in Ausbildung sind. 83 % sind überzeugt, dass sich mehr junge Frauen eine Führungsrolle zutrauen würden, wenn es mehr Beispiele für Frauen im Top Management gäbe.
„Solange in der Führung keine Frauen mit Kindern sichtbar sind, mit denen sich junge Frauen identifizieren können, bleiben Frauen in Führungsrollen weiterhin Mangelware“.
Auch junge Mütter in der Politik helfen daher sehr, die klassischen Bilder aus den Köpfen der jungen Frauen zu bekommen“, betont Anke van Beekhuis.
Karriere-Begriff bei jungen Frauen negativ besetzt
Frauen in Führungspositionen als Teil der Firmenphilosophie und zugleich Schlüsselthema der externen Unternehmenskommunikation erhalten durch die Befragten deshalb eine wichtige Bedeutung im Hinblick auf die Attraktivität eines Arbeitgebers. Wobei jedoch das Bild der typischen Karrierefrau negativ besetzt ist. Ist es doch inspiriert von Karrierefrauen, wie man sie aus Filmen oder TV-Serien kennt: gestresste Frauen im Business-Outfit mit Smartphone und/oder Aktentasche, die für ihre Arbeit leben und die, nach Ansicht der Studentinnen, dafür ihr Privatleben und ihre Menschlichkeit aufgeben.
„Karrieremachen“ als Option für den persönlichen beruflichen Lebensweg wird von den jungen Frauen eher abgeblockt. Zwar messen die Befragten beruflichen Erfolg auch an der Höhe des Erwerbseinkommens und dem Sozialprestige, dem gleichgestellt ist zusätzlich jedoch die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Die jungen Frauen wollen sich mit all ihren Qualifikationen und Talenten in Arbeitsprozesse einbringen, fachlich weiterentwickeln und dafür auch entsprechende Anerkennung bekommen.
Erwartungen an den zukünftigen Arbeitgeber und Vorgesetzten
Entsprechend ihrer Definition von beruflichem Erfolg haben hochqualifizierte junge Frauen auch klare Vorstellungen davon, was ihnen ein Unternehmen bieten muss, damit sie gerne und mit vollem Einsatz für dieses Unternehmen tätig sind. Allem voran nennen sie gute Bezahlung (82 %), die Möglichkeit zu flexibler Arbeitszeitgestaltung (65 %) und Work-Life-Balance (58%). Auch bei ihren Erwartungen an den Beruf setzen die jungen Frauen klare Prioritäten. Am wichtigsten ist ihnen, dass die berufliche Tätigkeit Spaß/Freude macht (89 %), dass sie die Möglichkeit haben, sich beruflich weiterzuentwickeln (89 %), Anerkennung für gute Arbeit von Seiten der Vorgesetzten (69 %). Von ihren zukünftigen Vorgesetzten erwarten sie die Möglichkeit flexible Arbeitszeiten nutzen zu können (74 %), Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (73 %) und die Förderung bei der Weiterentwicklung (70 %).
Wobei die jungen Studentinnen der „idealen Führungskraft“ Eigenschaften zuschreiben, die generell mit einem weiblichen Führungsstil (kommunikativ, kollegial, empathisch) und einem männlichen Führungsstil (durchsetzungsfähig, entschlossen) assoziiert werden -mit einer leichten Präferenz für weibliche Führungsstärken. Die Expertin van Beekhuis ergänzt: „Spannend ist, dass wir ganz ähnliche Forderungen auch aus Analysen in Unternehmen kennen, wo wir rund 2000 Frauen in den letzten Jahren befragt haben. Also nicht nur den zukünftigen High Potentials sind diese Punkte wichtig, sondern auch bestehenden Arbeitnehmerinnen.“
Familienfreundliche Klein- und Mittelbetriebe bevorzugt
Interessant ist, dass die Rahmenbedingungen für Work-Life-Balance und Vereinbarkeit von Beruf und Familie, im Gegensatz zu Großunternehmen, bei Klein- und Mittelbetrieben besser eingeschätzt werden. Die Studentinnen sehen dort ein weniger stark wettbewerbsorientiertes Betriebsklima. Das verringert die Sorge, während des Mutterschutzes, der Karenz oder Elternteilzeit von ehrgeizigen Kollegen und Kolleginnen „auskonkurrenziert“ zu werden. Eine Talenteabwanderung könnte somit zu einem realen Risiko für Großunternehmen werden. Dann nämlich, wenn weibliche „High Potentials“ für ihren Berufseinstieg ein Großunternehmen wählen, um etwa internationale Erfahrungen zu sammeln, jedoch später in einen Klein- oder Mittelbetrieb wechseln, weil sich dort Beruf und Familie leichter vereinen lassen. „Die Studentinnen haben hier oftmals ihre Erfahrungen wiedergegeben, die sie während Praktika gesammelt haben.
Sich während eines Praktikums gut zu präsentieren ist demnach sowohl für Zukunft der Studentinnen als auch der Unternehmen wichtig“, so Anke van Beekhuis Dilemma technische Studienrichtungen Während insgesamt jede zweite Studentin (51 %) im eigenen Fachbereich gleiche Berufschancen für Frauen und Männer sieht und nur 37% die Berufschancen der Frauen im eigenen Fachbereich schlechter einschätzen als jene der Männer, verkehrt sich das Bild bei den technischen Studienrichtungen (MINT). Hier ist der Anteil derer, die die Berufschancen von Frauen schlechter einschätzen als die von Männern, mit 54% ungleich höher. Anders gesagt: Der nach wie vor männerdominierte MINT-Sektor ist aus Sicht der MINTStudentinnen von gleichen Berufschancen für Frauen noch deutlich weiter entfernt als andere Berufsfelder und Branchen. „Hier ist das Fehlen von Role-Models besonders deutlich zu beobachten. Daran wird sich auch über kurz oder lang von selbst nichts ändern, da fehlender Nachwuchs auch bedeutet, dass auch in Zukunft keine Vorbilder gegeben sind. Es ist wie eine Abwärtsspirale. Gibt es in technischen Unternehmen nicht rasch Änderungen, könnte es sein, dass hier zukünftig sehr gut ausgebildete Frauen komplett fehlen“, warnt van Beekhuis.
Unternehmen sind deutlich gefordert
Für die Expertin van Beekhuis ergeben sich aus der Studie wesentliche Handlungsanweisungen für Unternehmen. Für sie ist klar, dass Unternehmen deutlich mehr Energie aufwenden müssen als bisher, um für zukünftige weibliche High Potentials attraktiver zu werden: „Wichtig ist, sich von der Ausrede zu verabschieden, am Markt gibt es zu wenige Frauen die Führung übernehmen wollen. Es braucht neue Herangehensweisen im Recruiting, neue Arbeitszeitmodelle und Role-Models, die aufzeigen, dass das Unternehmen es ernst meint und was möglich ist. Und wenn man bedenkt, dass die meisten von den weiblichen Potentials geforderten Veränderungen
Unternehmen auch für ihre männlichen Pendants attraktiv machen, dann lohnen sich Investitionen doppelt.“
Fotocredit: Anke van Beekhuis/Niklas Schnaubelt