BR-Präsidentin Eder-Gitschthaler lud zu einer Bestandsaufnahme in Sachen Gleichstellung.
„Die positive Entwicklung einer Gesellschaft kann nur dann nachhaltig sein, wenn alle ihre Mitglieder in gleichem Maße davon profitieren. Dieses gleiche Maß wird aber erst dann erreicht sein, wenn Frauen an den maßgebenden Entscheidungen in gleichem Ausmaß teilnehmen.“
Das betonte heute Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler anlässlich einer Veranstaltung zu 100 Jahren gesetzlicher Gleichberechtigung.
Die Veranstaltung fand auf Einladung der Bundesratspräsidentin im Haus der Geschichte Österreich statt, die Keynote kam von dessen Direktorin Monika Sommer mit dem Titel „Frauen in der Politik – eine Geschichte mit vielen Kapiteln“. An der sich daran anschließenden Podiumsdiskussion nahmen Bundesministerin Karoline Edtstadler, Volksanwältin a.D. Ingrid Korosec, die Präsidentin des Salzburger Landtages Brigitta Pallauf, Nationalratsabgeordnete a.D. und Wiener Stadträtin a.D. Elisabeth Pittermann und ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner teil. Sie berichteten darüber, wie es ihnen trotz des herrschenden Ungleichgewichts gelungen ist, Verantwortung auf höchster Ebene zu übernehmen. Die Moderation des Gesprächs übernahm Simone Stribl.
Eder-Gitschthaler: In Bereichen, wo maßgebliche Entscheidungen getroffen werden, sind wir von einer Gleichstellung noch weit entfernt
Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) vom 1. Oktober 1920 in der Fassung von 1929, das noch heute das Fundament für das politische Zusammenleben in unserer Republik und für die Stabilität der Staatsgewalten bildet, hat auch die Gleichstellung von Mann und Frau normiert. Zwei Jahre zuvor, im Jahr 1918, erhielten die Frauen aufgrund eines Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung auch das aktive und passive Wahlrecht zuerkannt. Wie Eder-Gitschthaler ausführte, gab es zwar bereits vorher in vielen Bereichen Gleichbehandlung – diese betraf aber in erster Linie die Pflichten, nicht aber die Rechte. Die gesetzliche Gleichstellung im Jahr 1920 war kein Geschenk, so die Bundesratspräsidentin. Sie war hart erkämpft, hatte viele Widerstände zu überwinden, trug aber letztendlich der politischen Realität Rechnung, waren es doch die Frauen, die für die Männer an der Front im Ersten Weltkrieg einspringen mussten.
Wie Monika Sommer dann auch darauf hinwies, dauerte es bis 1966, als mit Grete Rehor als Sozialministerin die erste Frau eine politische Spitzenposition in der Republik übernahm. Eine Ausnahme bildete lediglich Olga Rudel-Zeynek, die von Dezember 1927 bis Mai 1928 als erste weibliche Vorsitzende im Bundesrat einer parlamentarischen Körperschaft vorstand. Zu den bedeutendsten der ersten acht weiblichen Abgeordneten, die am 4. März 1919 ins Parlament einzogen, zählten Adelheid Popp und Hildegard Burian.
Erst langsam stießen Frauen in hohen politischen Ämtern auf breite Akzeptanz. Dazu beigetragen haben unter anderem Bundesministerin Johanna Dohnal (von 1990-1995 Bundesministerin ohne Portefeuille, vorher 10 Jahre lang Staatssekretärin), Marga Hubinek (von 1996 bis 1990 als Zweite Nationalratspräsidentin und damit erste Frau im Präsidium des Nationalrats), Barbara Prammer (von 2006 bis 2014 als Nationalratspräsidentin erste Frau an der Spitze des Hohen Hauses) und Maria Schaumayer, die als erste Frau von 1990 bis 1995 die Nationalbank leitete. Mit Brigitte Bierlein war es dann im Mai 2019 so weit, dass es in Österreich erstmals eine Bundeskanzlerin gab. Zuvor war sie auch als erste weibliche Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Pionierin im Justizbereich.
Wenn eine Frau mittlerweile als Bundeskanzlerin, Ministerin, National- oder Bundesratspräsidentin ein gewohntes Bild ist, ist die Gleichstellung im beruflichen Alltag weiterhin keine Selbstverständlichkeit, resümierte Bundesratspräsidentin Eder-Gitschthaler. Besonders in den Familien und in sozialen Berufen trügen Frauen die Last großer Verantwortung, sie leisteten den größten Teil unbezahlter Arbeit, verdienten aber zumeist noch immer weniger. In Vorstandsetagen seien Frauen weiterhin eine Minderheit. Eder-Gitschthaler zitierte den Gleichstellungsindex des European Institute for Gender Equality, wonach der Bereich „Macht“ die größten geschlechterspezifischen Unterschiede aufweist. Die EU hat demnach den Weg zur geschlechtergerechten Gesellschaft erst zur Hälfte zurückgelegt. „Von einer Gleichstellung in jenen Bereichen, in denen maßgebliche Entscheidungen getroffen werden, sind wir noch weit entfernt“, stellte die Bundesratspräsidentin fest.
Monika Sommer: Geschlechtergeschichte ist Gesellschaftsgeschichte
Geschlechtergeschichte ist Gesellschaftsgeschichte, betonte die Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich, Monika Sommer, in ihrer Keynote. Frauengeschichte sei vor allem von jenen Frauen gemacht worden, die außerhalb der Politik agiert haben.
Sommer gab einen kurzen „Gedankenaufriss“, wie sie sagte, über die Frauengeschichte in Österreich und wies darauf hin, dass sich der Kampf um das Frauenwahlrecht auf 1848 zurückführen lässt. Frauen seien Friedensaktivistinnen gewesen, wie etwa Bertha von Suttner, sie seien von Not und Armut betroffen gewesen, und jene, die sich an Demonstrationen und Streiks beteiligt haben, seien mit dem Vorwurf von Disziplinlosigkeit und Unberechenbarkeit konfrontiert gewesen. Sommer hob besonders hervor, dass die Politikerinnen in den 1920er Jahren durch parteiübergreifende Zusammenarbeit Verbesserungen für Frauen erzielen konnten. Dennoch habe es wieder ein Zurückdrängen am Arbeitsmarkt gegeben, weil die Arbeitsplätze von den aus dem Krieg zurückgekehrten Männern eingenommen wurden. Die politische Zuspitzung und Polarisierung um 1930 hat zu einem Ende der Zusammenarbeit geführt, unter Dollfuss kam es zu drastischen Rückschritten für die Frauen und während des NS-Regimes waren Frauen in erster Linie Mütter. Viele hätten sich dem Widerstand angeschlossen, das sei aber lange von der Geschichtsschreibung ausgeblendet worden. Sommer gab gleichzeitig zu bedenken, dass in dieser Zeit Frauen aber auch „Zuschauerinnen, Profiteurinnen und Täterinnen“ waren.
Erst in den 1970er Jahren kam es zu einer Dynamisierung der Frauenfrage, es kam zur Bildung einer autonomen Frauenbewegung. Unter der Regierung Kreisky wurden dann die Fragen der Gleichberechtigung -insbesondere durch die damalige Staatssekretärin und spätere Ministerin Johanna Dohnal – zum politischen Thema. Es kam zur Familienrechtsreform, zur Einführung der Fristenlösung und Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar. Zu wenig beachtet in der Frauenpolitik wurden jedoch die Anliegen behinderter Frauen sowie jene von Frauen mit anderer Hautfarbe, von Asylwerberinnen und Transsexuellen. Auch die meisten Forderungen des ersten Frauenvolksbegehrens aus dem Jahr 1997 warten noch auf ihre Umsetzung.
„Es bleibt noch viel zu tun“, lautete daher auch das Fazit von Monika Sommer, die an die Frauen appellierte, überparteilich zusammen zu arbeiten.
Appell an überparteiliche Zusammenarbeit, denn es bleibt noch viel zu tun
Dieser Appell an die Zusammenarbeit kam auch von den Frauen am Podium. Beim Zusammenhalt sind wir noch nicht weit, stellte ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner fest. Es gehe aber nicht darum „Krönchen zu richten, sondern Schwerter zu ziehen“, meinte sie pointiert.
Ministerin Karoline Edtstadler, Volksanwältin a.D. Ingrid Korosec, Landtagspräsidentin Brigitta Pallauf, Abgeordnete a.D. Elisabeth Pittermann und Kathrin Zechner erzählten nicht nur von ihren Erlebnissen und Kämpfen, sie waren sich auch darin einig, dass gerade die Corona-Pandemie deutlich gemacht hat, wie viel Doppel- und Dreifachbelastung Frauen in Zeiten wie diesen stemmen müssen. Sie alle stimmten mit Monika Sommer überein, dass noch viel zu tun bleibt.
Starke Frauen würden oft gescholten „knallhart“ zu sein, sagte Ministerin Karoline Edtstadler. Man müsse den Frauen Mut machen, man brauche sowohl den männlichen als auch den weiblichen Blick der Dinge. Man dürfe die Männer in der Frauenfrage nicht aus der Pflicht lassen, meinte Landtagspräsidentin Brigitta Pallauf. Frauen dürften sich auch nicht benutzen lassen. Angesichts der vielen Frauen, die ihre großen Begabungen in der Vergangenheit nicht entfalten konnten oder durften, sei es notwendig, dass Frauen „sichtbar“ sind. „Wir wissen, was wir können“ sagte Pallauf. ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner sieht es in diesem Sinne auch als eine ihrer Aufgaben, Frauen im ORF sichtbar zu machen. Aus diesem Grund würden beispielsweise derzeit viele Virologinnen vor den Vorhang geholt. „Anständigkeit und Wissen hat man im Hirn und nicht im männlichen Organ“, pflichtete die ehemalige Abgeordnete Elisabeth Pittermann ihren Kolleginnen am Podium bei, die als Ärztin vor allem die Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen erlebte, denen Frauen am Arbeitsplatz ausgesetzt waren. Sie setzte sich daher als Betriebsrätin und Politikerin für entsprechende Rahmenbedingungen ein.
„Prinzipiell machen wir Frauen die Arbeit nicht besser, aber auch nicht schlechter“, unterstrich Ingrid Korosec. Frauen würden anders sozialisiert, sie verfügten über (soziale) Kompetenzen, die Männern nicht antrainiert wurden. Korosec forderte auch angesichts der Tatsache, dass Frauen mehr als 50% der Bevölkerung stellen, für Frauen auch 50% der Spitzenpositionen. Frauen an der Spitze würden die Welt nicht besser machen, sagte sie, aber gerechter. Frauen würden nicht an ihren Qualifikationen scheitern, sondern an den Wertvorstellungen. Sie rät den Frauen zu mehr Mut, zu Ehrlichkeit, zu Disziplin, zu Konsequenz und zur Liebe zu den Menschen.
Wien (OTS) Bild: © Parlamentsdirektion / Simonis, Philipp